Dürfen die Jobcenter bei Arbeitsverweigerung das ganze Geld streichen, wenn die neue Regierung kommt?

Wir bekommen wahrscheinlich bald eine neue Regierung. Diese will das Bürgergeld umbenennen. Außerdem will sie das Geld bei wiederholter Arbeitsverweigerung ganz streichen. Aber wäre das nicht verfassungswidrig?

Die CDU, die CSU und die SPD führen zur Zeit Koalitionsverhandlungen. Sie wollen bald Deutschland regieren.

Die Grundlage für die Verhandlungen ist ein Sondierungspapier. Darin stehen unter anderem diese Sätze:

„Bei Menschen, die arbeiten können und wiederholt zumutbare Arbeit verweigern, wird ein vollständiger Leistungsentzug vorgenommen. Für die Verschärfung von Sanktionen werden wir die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beachten.“

Hier geht es um die neue Grundsicherung. Die neue Regierung will damit das Bürgergeld ersetzen. Viele wissen nicht:

Welche Verschärfung ist eigentlich mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vereinbar?

Das Bundesverfassungsgericht sieht es so:

Es kann verfassungsgemäß sein, existenzsichernde Leistungen komplett zu streichen. Dafür müssen aber diese Voraussetzungen vorliegen:

  1. Der Mensch weigert sich, eine aktuell verfügbare zumutbare Arbeit anzunehmen.
  2. Diese Arbeit würde tatsächlich die Existenz sichern.

Das wusste auch die Ampelregierung. Sie hat deswegen schon zum 28.03.2024 ein Gesetz eingeführt:

Die Jobcenter können schon seitdem den Regelsatz beim Bürgergeld komplett streichen.

Voraussetzung:

Der Mensch weigert sich, eine konkret verfügbare zumutbare Arbeit anzunehmen.

Sogar das jetzige Gesetz hält sich schon nicht an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Im aktuell gültigen Gesetz fehlt nämlich etwas:

Die verweigerte Arbeit muss wirklich die Existenz sichern können.

Darum kann es jetzt schon zu verfassungswidrigen Sanktionen kommen: Wer einen Job verweigert, der nicht zum Leben reicht, kann den Regelsatz gestrichen kriegen.

Wie kann eine neue Regierung das noch verschärfen?

Das kann die neue Regierung einführen:

  1. Jobcenter dürfen nicht nur den Regelsatz streichen, sondern alles. Dazu gehört auch das Geld für die Wohnung, für die Krankenversicherung und Pflegeversicherung.
  2. Das geht aber nicht als Strafe!
  3. Es geht nur, solange ein Mensch eine konkret verfügbare zumutbare Arbeit annehmen könnte, die zum Leben reichen würde.

Und wenn sich die neue Regierung daran nicht hält?

Dann ist das verfassungswidrig. Wenn Sie eine verfassungswidrige Sanktion bekommen, können Sie dagegen einen Widerspruch einlegen. Wenn der abgelehnt wird, können Sie klagen. Dabei kann ich Ihnen als Rechtsanwältin helfen.

Das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum gilt für alle Menschen

Heute früh muss ich als Meldung der dpa lesen: „Wagenknecht: Keine Leistungen für abgelehnte Asylbewerber“. Sind die Grundsätze unserer Verfassung wirklich so schwer zu verstehen? Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat und die Würde des Menschen ist hierzulande unantastbar, unabhängig vom Aufenthaltsstatus.

Wahrscheinlich kann es nicht oft genug gesagt werden: Das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum gehört zum unabänderlichen Kern der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Es gilt für alle Menschen ohne Unterschied.

Mit dem Bundesverfassungsgericht gesprochen: „Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG garantiert ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums […]. Art. 1 Abs. 1 GG begründet diesen Anspruch als Menschenrecht. […] Das Grundrecht steht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu.“ (Quelle: Urteil des BVerfG vom 18. Juli 2012 – 1 BvL 10/10)

Warum kommen von Links, von Rechts und aus der politischen Mitte (siehe die Äußerungen von Jens Spahn) trotzdem immer wieder Vorschläge, die den Kern unserer Verfassung missachten?

Nochmal: Auch die Würde abgelehnter Asylsuchender ist unantastbar. Sie haben wie alle anderen das Recht, in Würde zu Leben. Wer sich die Mittel dafür mangels Arbeitserlaubnis nicht selbst beschaffen darf, muss sie eben vom Staat bekommen. Das ist doch nicht kompliziert.

Nein, das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum kann nicht aus dem Grundgesetz gestrichen werden

Sehr geehrter Herr Spahn, sehr geehrter Herr Merz, sehr geehrte Damen und Herren,

in einer Meldung der dpa ist heute am 14.01.2024 zu lesen: „Unionsfraktionsvize Jens Spahn hat eine Verfassungsänderung für schärfere Sanktionen beim Bürgergeld angeregt. „Menschen, die arbeiten können und ein Jobangebot erhalten, dies aber nicht annehmen, sollten im Grunde kein Bürgergeld mehr bekommen“, sagte der CDU-Politiker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Wenn hier eine generelle Streichung durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht gedeckt ist, sollten wir eben die Verfassung ändern“, betonte Spahn.“

Das Bundesverfassungsgericht stützt seine Entscheidung auf Normen des Grundgesetzes, die eben nicht änderbar sind, sondern den Kern der freiheitlich demokratischen Grundordnung ausmachen. Ich zitiere die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 05. November 2019 zum Aktenzeichen 1 BvL 7/16:

„Die zentralen verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung staatlicher Grundsicherungsleistungen ergeben sich aus der grundrechtlichen Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG). Gesichert werden muss einheitlich die physische und soziokulturelle Existenz. Die den Anspruch fundierende Menschenwürde steht allen zu und geht selbst durch vermeintlich „unwürdiges“ Verhalten nicht verloren.“

Die sogenannte Ewigkeitsgarantie des Grundgesetzes steht in Artikel 79 Abs. 3 GG: „Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.“

Herr Spahn, Sie rufen dazu auf, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beseitigen, gerade in der Situation, dass diese so gefährdet ist, wie nie zuvor. Herr Spahn, das kann doch nicht Ihr Ernst sein!

Herr Merz, sehr geehrte Damen und Herren in der CDU: Diese Äußerung von Herrn Spahn muss Konsequenzen haben. Wer sich derartig äußert, hat in der Union nichts zu suchen.

Mit freundlichen Grüßen

Luisa Milazzo, Rechtsanwältin

Jens Spahn fordert eine Verfassungsänderung, die wegen der Ewigkeitsgarantie des Grundgesetzes nicht möglich ist.

Lohnt sich Arbeiten noch, wenn das Bürgergeld kommt?

Sie arbeiten und nehmen alle Ihnen zustehenden Sozialleistungen in Anspruch? Dann haben Sie immer mehr Einkommen zur Verfügung als Menschen, die nicht arbeiten und nur Bürgergeld beziehen, genau wie heute schon bei Hartz 4. Wenn Sie aber darauf verzichten, Ihre Ansprüche auf aufstockende Sozialleistungen geltend zu machen, kann es Ihnen leicht passieren, dass Sie weniger Einkommen haben als Menschen, die nur von Bürgergeld leben.

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