Allgemeinverfügung wegen Corona

In Sachsen wurde eine Allgemeinverfügung mit Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus erlassen. Das Verlassen der häuslichen Unterkunft ohne triftigen Grund wird untersagt. Enthalten ist auch eine Liste der triftigen Gründe. In dieser Liste heißt es unter anderem: „Sport und Bewegung an der frischen Luft im Umfeld des Wohnbereichs“ sei ein triftiger Grund. Doch was heißt das? Kann ich mich wehren, wenn die Polizei mich beim Sport treiben anspricht und strafrechtliche Maßnahmen gegen mich ankündigt?
Um es kurz zu machen: Ja, Sie können sich mit hoher Wahrscheinlichkeit mit Erfolg wehren!

Wenn Sie angeblich gegen die genannte Allgemeinverfügung verstoßen haben sollen durch Sport oder Bewegung außerhalb des Wohnumfelds, so rate ich Ihnen, das nicht ohne Weiteres hinzunehmen.

Bitte schließen sie nicht daraus, dass Sie sich an die Regeln nicht halten müssen! Es ist sehr wichtig, Menschenleben zu schützen und aus diesem Grunde müssen wir zur Zeit versuchen, Ansteckungen mit dem neuen Coronavirus zu vermeiden, so gut es geht. Dass Sie sich wahrscheinlich gegen eine Bestrafung in bestimmten Fällen erfolgreich wehren können, bedeutet nicht einen Freibrief für unverantwortliches Verhalten. Das ist schon eine moralische Frage. Hier geht es aber erst einmal nicht um Moral, sondern um Recht.

Warum kann ich mich wahrscheinlich erfolgreich wehren?

Die Allgemeinverfügung lässt leider offen, was genau das Umfeld des Wohnbereichs sein soll. So weiß niemand: In welchem Umkreis darf ich Sport treiben? Wann habe ich mich zu weit von meiner Wohnung entfernt? Ab wann kann ich Ärger bekommen?Rechtlich geht es so nicht. Man kann nicht sagen: Wir verbieten mal etwas, sagen aber nicht genau was. Wir entscheiden dann hinterher, ob es ok war, wie sich die Menschen verhalten haben oder nicht.

Genau das ist es aber, was mit der Allgemeinverfügung gerade gemacht wird:

Der sächsische Innenminister Roland Wöller sagte zu dem Thema der Presse auf die Frage nach einem Wohnungsumkreis, in welchem Sport und Bewegung erlaubt sind: „Insofern setzen wir auf zwei Dinge: Erstens mal auf den gesunden Menschenverstand und zweitens mal auf das Augenmaß der Ordnungsbehörden und der Polizeibeamten.“(Quelle: https://www.sachsen-fernsehen.de/staatsregierung-beschliesst-ausgangsbeschraenkungen-im-freistaat-735428/)

Dass hinterher die Ordnungsbehörden und die Polizei entscheiden, ob ein Verhalten eines Menschen nun ok gewesen ist oder sogar strafbar war, geht im deutschen Strafrecht nicht. Man muss schon vorher wissen, was denn nun erlaubt ist und was nicht, um sich daran halten zu können. Es geht nicht, dass man das erst danach erfährt, wenn es schon zu spät ist.

Im Strafrecht gilt der sogenannte Bestimmtheitsgrundsatz. Ein Mensch muss dem Gesetz entnehmen können, was verboten ist und was nicht. Das Gesetz, um das es hier geht, ist § 75 IfSG (=Infektionsschutzgesetz). Darin ist geregelt, dass es strafbar ist, gegen so eine Allgemeinverfügung zu verstoßen und zwar mit Geldstrafe bis hin zu zwei Jahren Freiheitsstrafe. Soweit ist es erst einmal ok.

Eine Allgemeinverfügung muss allerdings auch selbst „inhaltlich hinreichend bestimmt“ sein, wie wir das in juristischer Sprache nennen. Auch das ist gesetzlich geregelt und zwar hier: § 37 VwVfG.  Kurz gesagt bedeutet das, dass man schon wissen muss, was der Staat da nun von einem verlangt. Es reicht, wenn man das aus der Begründung der Allgemeinverfügung herauslesen kann, aber es darf nicht ganz offen bleiben.

Hier bleibt es ganz offen. Niemand weiß es, weil es bewusst offen gelassen wurde!  Das Land Sachsen schreibt sogar auf seiner Internetseite zur Beantwortung häufiger Fragen zur Allgemeinverfügung zu der Frage, was das Umfeld des Wohnbereichs sei: „Hierfür gibt es keine klare Definition.“ Zwar nennt es dort ein Beispiel, man dürfe nämlich aus Dresden nicht in die Sächsische Schweiz zum Wandern fahren. Davon wissen wir Leipziger aber noch lange nicht, ob wir nun am Cospudener See noch Sport treiben dürfen, wenn wir z.B. in Lindenau wohnen, oder nicht.

Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer soll laut Süddeutscher Zeitung gesagt haben, eine gewisse Unschärfe müsse zwangsläufig bleiben, es könne nicht jeder Einzelfall geklärt werden.

Genau das stimmt so aber nicht. Nein, so unscharf, wie Kretschmer es ausdrückt, muss und darf eine Allgemeinverfügung eben gerade nicht bleiben. Wenn sie so unscharf ist, dann ist sie „nicht hinreichend bestimmt“. In normalem Deutsch gesagt: Dann weiß kein Mensch, was man nun darf und was nicht. Die Folge: Die Allgemeinverfügung ist dann insoweit rechtswidrig und niemand kann sich durch einen Verstoß dagegen dann strafbar machen.

Kretschmer irrt sich auch, wenn er meint, man könne das nicht genauer regeln. Doch, man kann! Man könnte z.B. die Gemeindegrenzen nehmen oder man könnte sich auf Stadtteile beziehen, man könnte Karten ausgeben und der Allgemeinverfügung anhängen etc. Also doch, das ginge schon. All das gibt es aber gerade nicht.

Auf besagter Internetseite zur Beantwortung häufiger Fragen zur Allgemeinverfügung finden wir noch eine weitere Aussage dazu, wie man erkennen könne, was denn nun Wohnumfeld sei und was nicht. „Diese räumliche Beschränkung ist immer mit Blick auf das Ziel auszulegen, Infektionsketten durch die Minimierung von Ansteckungsmöglichkeiten zu unterbrechen. Wege sind, soweit irgend möglich, auf ein Minimum zu begrenzen und Kontaktmöglichkeiten soweit möglich einzuschränken.“

Das ist schön und gut, aber mit Blick auf besagtes Ziel dürfte es schlimmer sein, Sport in der Nähe von Wohnungen zu treiben, als weit entfernt von Wohnungen, wo anzunehmen ist, dass sich dort kaum jemand aufhalten wird.

Sind Ausgangssperren überhaupt erlaubt?

Als das Infektionsschutzgesetz gemacht wurde, hat niemand an solche Ausgangssperren gedacht.

Die Rechtsgrundlage, auf die sich die Allgemeinverfügung beruft ist § 28 IfSG. Darin heißt es, die Behörde könne: „auch Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte nicht zu betreten, bis die notwendigen Schutzmaßnahmen durchgeführt worden sind.“

Ganz grundsätzlich kann also schon Leuten untersagt werden, die Wohnung zu verlassen oder bestimmte Orte zu betreten. Und zwar gilt das, wenn „Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt“ werden oder sich ergibt, „dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war“  und zwar „soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist“.

Weil wir die Situation in diesem Ausmaß so noch nie hatten, weiß derzeit niemand, wie unsere Gerichte in Deutschland das Ganze einschätzen werden. Das ist auch gemeint, wenn jetzt viele Leute schreiben oder sagen, das sei jetzt „rechtliches Neuland“.

Was wir insbesondere nicht wirklich wissen ist, was eigentlich nun wirklich zur Verhinderung der Verbreitung des neuen Coronavirus alles erforderlich ist und was nicht mehr. Dafür ist das alles einfach noch nicht gut genug erforscht. Erst hinterher werden wir schlauer sein. Maßnahmen müssen aber jetzt getroffen werden.

Die Situation ist so, dass wir alle das Virus bereits in uns tragen könnten und andere anstecken könnten. Insofern meine ich, dass wir derzeit alle Ansteckungsverdächtige sind und dass die Einschränkungen daher grundsätzlich wahrscheinlich schon rechtmäßig sind.

Meine Emailanfrage

Ich wüsste nur gern, was nun genau erlaubt ist und was nicht. Hierzu habe ich daher eine Emailanfrage an das sächsische Sozialministerium gestellt, die bisher unbeantwortet blieb. Vermutlich hatte schlicht noch niemand die Zeit dazu, sich darum zu kümmern.

Das habe ich gefragt:

In der Allgemeinverfügung vom 22.März 2020 heißt es: "Sport und
Bewegung an der frischen Luft im Umfeld des Wohnbereichs" sei erlaubt.
Konkrete Ausführungen dazu, was unter "Umfeld des Wohnbereichs" zu
verstehen ist enthält die Allgemeinverfügung nicht. Wie sieht es bei
Radsport aus? Ist eine Radtour um die Leipziger Seen "Sport und Bewegung
an der frischen Luft im Umfeld des Wohnbereichs"? Wie weit darf man sich
vom Wohnbereich entfernen? All das lässt die Allgemeinverfügung leider
offen.

Was können Sie tun, wenn Sie Post von der Polizei, Staatsanwaltschaft oder einem Gericht wegen einem angeblichen Verstoß gegen die Allgemeinverfügung erhalten?

1. Keine Panik

2. Sie müssen nicht zu Terminen bei der Polizei hingehen und haben das Recht, die Aussage zu verweigern. Zunächst sollten Sie dieses Recht auch in Anspruch nehmen und zu der ganzen Sache nichts sagen oder schreiben. Teilen Sie nur mit, dass Sie sich anwaltliche Hilfe holen und ggf. dann zu der Sache Stellung nehmen.

3. Nach anwaltlicher Beratung können Sie dann gemeinsam mit Ihrem Anwalt oder Ihrer Anwältin entscheiden, wie es weiter gehen soll.

Dürfen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in Sachsen jetzt trotz Corona noch arbeiten?

Im Augenblick (Stand 25.03.2020) dürfen wir als Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte weiterhin arbeiten und hierzu auch unsere Wohnung verlassen. Viele von uns werden jetzt sicherlich vom Homeoffice aus arbeiten und einige müssen ihre Kinder betreuen, weil wir derzeit nicht in die Liste derer aufgenommen sind, die ein Recht auf Notbetreuung haben. Wir sind grundsätzlich aber weiterhin für Anfragen erreichbar. Persönliche Gespräche sind derzeit möglich, wenn das nötig ist, aber dank Internet und Telefon geht es auch ganz gut ohne ein Risiko auf Ansteckung. Rufen Sie also einfach an oder schreiben Sie eine Email.