Ein Jobcenter streicht rechtswidrig einem Obdachlosen vorläufig das Bürgergeld. Grund: Er hat Termine beim Jobcenter verpasst. Er hält sich nämlich in einer ländlichen Region auf. Zu Fuß dauert es viele Stunden bis zum nächsten Jobcenter. Und er hat kein Geld für Fahrscheine für Bus und Bahn. Da vermutet das Jobcenter eine unerlaubte Ortsabwesenheit. Und wer sich nicht im näheren Bereich des zuständigen Jobcenters befindet, hat auch keinen Anspruch auf Bürgergeld.
Die Folge: Der Obdachlose kann sich nichts mehr kaufen: Auch kein Essen oder Trinkwasser. Erst eine einstweilige Anordnung vom Sozialgericht hilft. Das Sozialgericht verpflichtet das Jobcenter, das Bürgergeld sofort wieder auszuzahlen. Kurz darauf bekommt der Obdachlose endlich sein dringend zum Leben notwendiges Geld. Das Jobcenter hätte nicht einfach eine Ortsabwesenheit annehmen dürfen, nur weil der Obdachlose bei Terminen gefehlt hat – auch nicht, weil er bestimmte Unterlagen nicht eingereicht hat, weil ihm das Jobcenter nicht erklärt hat, wozu es die brauchen könnte.
Hier finden Sie die Entscheidung:
Tatsächlich ist in § 7b SGB II geregelt: „Erwerbsfähige Leistungsberechtigte erhalten Leistungen, wenn sie erreichbar sind. Erreichbar sind erwerbsfähige Leistungsberechtigte, wenn sie sich im näheren Bereich des zuständigen Jobcenters aufhalten und werktäglich dessen Mitteilungen und Aufforderungen zur Kenntnis nehmen können.“
Wenn sich Erwerbsfähige ohne vorherige Erlaubnis des Jobcenters außerhalb des näheren Bereich eines Jobcenters befinden, haben sie also wirklich keinen Anspruch auf Bürgergeld.
Aber: Damit ist nur gemeint, dass diese Leute nicht einfach so verreisen dürfen, wenn sie ihr Bürgergeld bekommen wollen. Das ist schon problematisch genug. Die Regel ist ganz sicher nicht dafür gedacht, Menschen in bestimmten ländlichen Gebieten Deutschlands komplett vom Bürgergeld auszuschließen – auch wenn von dort ein Jobcenter zu Fuß wirklich nicht erreichbar ist, auch wenn die Menschen kein Geld für Fahrscheine für Bus und Bahn haben und auch dann nicht, wenn es in einer Region gar keinen Bus und keine Bahn gibt.
Der Obdachlose hätte ohne anwaltliche Hilfe sein lebensnotwendiges Bürgergeld nicht bekommen. Doch nicht alle Obdachlosen finden Zugang zu anwaltlicher Hilfe. Das gelingt nicht einmal allen Menschen, die eine Wohnung haben. Insofern ist es hochproblematisch, wenn Jobcenter Menschen rechtswidrig lebensnotwendige Leistungen verwehren. Ja, der Rechtsstaat funktioniert, aber nur für die Menschen, die es schaffen, ihn in Anspruch zu nehmen.
Hetze gegen angeblich faule Menschen kann die Beschäftigten in Jobcentern zu rechtswidrigem Verhalten verleiten. Und wenn die Betroffenen sich nicht dagegen wehren können, kann es für sie sehr gefährlich werden. Selbst wer schon ganz unten in der Obdachlosigkeit angekommen ist, wird dann von unserem Sozialstaat im Stich gelassen.
Das Bürgergeld braucht keine Reformen für mehr Druck auf Arbeitslose, sondern unser Land braucht Jobcenter, die sich von sich aus an Recht und Gesetz halten – ohne dass es dafür erst ein Sozialgericht braucht. Dann haben die Sozialgerichte auch Zeit, über wirklich unklare Fälle zu entscheiden.
