Prozesskostenhilfe in der Praxis: Barrierefreier Zugang zum Recht sieht anders aus

Prozesskostenhilfe ist dafür da, auch Menschen, die sich Gerichts- und Anwaltskosten nicht leisten können, einen Zugang zum Recht zu ermöglichen. Jeder Mensch muss die Möglichkeit haben, die Hilfe der Gerichte in Anspruch zu nehmen. Viele Menschen sind allerdings davon überfordert, Prozesskostenhilfe zu beantragen. Sie lassen ihre Steuererklärung lieber von einem Steuerberater erledigen, weil es so kompliziert ist? Prozesskostenhilfe zu beantragen ist oft ähnlich kompliziert oder noch schwieriger. Leider.

Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen sind zwar verpflichtet, Sie auch dann zu vertreten, wenn Sie weder Gerichtskosten noch Anwaltskosten zahlen können, nämlich dann, wenn Ihnen Prozesskostenhilfe bewilligt wurde und eine Anwältin oder ein Anwalt beigeordnet wurde. Die Anwältinnen und Anwälte sind aber nicht dazu verpflichtet, Prozesskostenhilfe für Sie zu beantragen. Das liegt daran, das ein Anwalt oder eine Anwältin für diese Arbeit nicht bezahlt wird, obwohl es eine oft schwierige und mühselige Tätigkeit ist. Meist tun sie es trotzdem, obwohl sie für diese Arbeit keinen Cent erhalten.

Nun kann der Anwalt oder die Anwältin ohne Ihre Hilfe die Anträge nicht stellen. Sie müssen eine Erklärung zu Ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen ausfüllen und Belege beifügen.

Das Ausfüllen dieser Erklärung ist gar nicht so leicht. Wenn Sie nun aber Glück haben, hilft Ihre Anwältin oder Ihr Anwalt Ihnen auch hierbei, freilich ohne hierfür irgendeine Vergütung zu bekommen.

Dann aber beginnt das größte Problem. Sie müssen der Erklärung Belege beifügen. Hier kann Ihnen Ihre Anwältin oder Ihr Anwalt nur erklären, was Sie alles heraussuchen müssen. Finden und zur Anwaltskanzlei bringen oder schicken müssen Sie es aber selbst.

Wenn Sie Glück haben, wird Ihre Rechtsanwältin oder Ihr Rechtsanwalt die Unterlagen dann auf eigene Kosten kopieren und sie sortieren, ohne dafür bezahlt zu werden. Besonders viel Spass macht das, wenn die Unterlagen durcheinander und höchst lückenhaft sind und es Stunden in Anspruch nimmt, das vernünftig zu ordnen.

Wenn Sie es jedoch nicht schaffen, die Belege vollständig zum Anwalt zu bringen, haben Sie Pech gehabt. Die Prozesskostenhilfe kann dann nämlich versagt werden. Ihr Anwalt wird nicht noch weiter kostenlos für Sie tätig werden und vielleicht können Sie nun überhaupt nicht klagen. Wahrscheinlich wissen Sie nicht, wie das gehen soll, ohne anwaltliche Hilfe. Es kann sogar sein, dass Sie einen Gerichtskostenvorschuss bezahlen müssen, den Sie sich aber nicht leisten können. Oder es handelt sich um einen Prozess, den Sie ohne Anwalt gar nicht führen dürfen.

Ihr Recht können Sie dann nicht geltend machen. Sie haben Pech gehabt.

In einem Rechtsstaat darf das nicht geschehen. Es ist Unrecht.

Man mag sich nun fragen: Wie kann es sein, dass jemand nicht schafft, Belege zu finden und vollständig zum Anwalt zu bringen?

Aber versuchen Sie das doch einmal, wenn Sie unter starken Schmerzen leiden und kaum mehr einen klaren Gedanken fassen können. Versuchen Sie es nach einem Schlaganfall. Versuchen Sie es, wenn Sie unter schweren Depressionen leiden. Versuchen Sie es, wenn Sie wegen ADHS nicht in der Lage sind, sich zu organisieren und Papiere in Ordnung zu halten. Versuchen Sie es, wenn Sie weder lesen noch schreiben können. Versuchen Sie es, wenn Ihre Wohnung gerade abgebrannt ist und in ihr alle Ihre Papiere.

Die Erfahrung zeigt außerdem: Viele gesunde Menschen schaffen es auch nicht. Sie sind keine Organisationstalente und haben keine gute Bildung. Deshalb haben sie ja auch so wenig Geld. Dafür muss man nicht krank oder behindert sein.

Aus diesem Dilemma gibt es zwei Wege:

Der erste ist, dass Sie sich von freundlichen Mitmenschen helfen lassen, die für ihre Hilfe keinen Pfennig erhalten. Der zweite ist, dass Sie sich ans Betreuungsgericht wenden und rechtliche Betreuung beantragen. Die gibt es, wenn Sie wegen Krankheit oder Behinderung nicht in der Lage sind, Ihre Angelegenheiten selbst zu regeln und andere Hilfe nicht möglich ist. Wenn Sie es auch nicht schaffen, sich ans Betreuungsgericht zu wenden, sind Sie wieder auf die Hilfe ihrer freundlichen Mitmenschen angewiesen, die ihnen uneigennützig und ohne Vergütung helfen.

Pech gehabt haben Sie allerdings, wenn sich keine freundlichen Mitmenschen finden, bzw. wenn das Gutachten, welches das Betreuungsgericht einholt ergibt, dass Ihre Erkrankungen oder Behinderungen nicht schlimm genug seien, um die Betreuung bekommen zu können. Pech gehabt haben Sie auch, wenn Sie gar nicht krank oder behindert sind, sondern trotz Gesundheit mit dem Beibringen der Belege überfordert sind. Pech gehabt haben Sie auch, wenn Sie zwar krank oder behindert sind, es aber nicht beweisen können.

So ist das hierzulande. Nicht alle Menschen haben die Möglichkeit, ihre Rechte auch durchzusetzen. Es sei denn, jemand hilft Ihnen – uneigennützig und für keinen Pfennig Geld.