Einstweiliger Rechtsschutz gegen Eingliederungsverwaltungsakte ist möglich

Im Zusammenhang mit dem Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 3. September 2014 (Az. S 35 AS 2893/14 ER) findet sich an verschiedenen Stellen im Internet die Aussage, einstweiliger Rechtsschutz gegen Eingliederungsverwaltungsakte von Jobcentern sei nicht möglich. Das ist falsch! Natürlich ist einstweiliger Rechtsschutz gegen solche Verwaltungsakte auch nach dieser Entscheidung weiterhin möglich. 

Inhaltlich geht es hier um die Frage, ob schon gegen einen Eingliederungsverwaltungsakt selbst, oder erst gegen eine Sanktion wegen Missachtung dieses Verwaltungsaktes Eilrechtsschutz möglich ist.

In der genannten Entscheidung aus Dortmund wird die Meinung vertreten, man könne ja gegen die in einem solchen Verwaltungsakt auferlegten Pflichten einfach verstoßen und dann gegen die eintretende Sanktion vorgehen.

Nur weil das Sozialgericht Dortmund dieser Meinung ist, heißt das aber noch lange nicht, dass man jetzt keine Chance mehr hätte, direkt mittels Eilrechtsschutz einen Eingliederungsverwaltungsakt anzugreifen:

Zum Einen hat eine Entscheidung eines einfachen Sozialgerichts als niedrigster Instanz nicht das Gewicht, das höchstrichterlicher Rechtsprechung zukommt. Andere Richterinnen und Richter sind in ihren Entscheidungen nicht an diese Rechtsprechung gebunden und können deshalb auch ganz anders argumentieren.

Das Sozialgericht Schleswig zum Beispiel argumentiert ganz anders in seiner Entscheidung vom 22.10.2013 (Az.: S 16 AS 158/13 ER). Dort heißt es, es sei nicht zumutbar, zunächst gegen die mit Eingliederungsverwaltungsakt auferlegten Pflichten zu verstoßen und eine Sanktion abzuwarten um hiergegen dann mittels Eilverfahrens vorzugehen.

Zum Anderen aber behauptet auch das Sozialgericht Dortmund selbst in der genannten Entscheidung nicht, dass in jedem Falle kein einstweiliger Rechtsschutz gegen Eingliederungsverwaltungsakte möglich sei. Da muss man schon genauer hinsehen:

In der Entscheidung steht nämlich nur, in der Regel sei die Belastung durch einen Eingliederungsverwaltungsakt selbst nur marginal und die eigentliche Belastung entstehe erst durch eine spätere Sanktion, so dass kein Eilbedarf bestehe. Wenn aber etwas in der Regel bzw. regelmäßig gilt, heißt das noch lange nicht, dass es immer gilt. Vielmehr heißt es, dass es auch Ausnahmen von dieser Regelmäßigkeit gibt – also dass es manchmal also eben doch anders ist.

Wie ist es nun also? Ist es zumutbar, dass man gegen einen solchen Verwaltungsakt bewusst verstößt, um die eigenen Rechte zu wahren, die Sanktion zu kassieren und erst dann hiergegen mit dem Eilrechtsschutz vorzugehen? Ist es erst die Sanktion selbst, die schlimm genug ist, um sie nicht mehr hinnehmen zu müssen? Ist die Belastung durch die auferlegten Pflichten eines Verwaltungsaktes so marginal, also nebensächlich, dass man sie hinnehmen muss, wie das Sozialgericht Dortmund argumentiert?

Natürlich ist das eigentliche Problem unrechtmäßiger Eingliederungsverwaltungsakte, dass diese eine Sanktionsdrohung beinhalten. Denn ohne diese Drohung wären diese Verwaltungsakte zahnlose Tieger. Man könnte sich gefahrlos der staatlichen Anordnung widersetzen. So weit also ist nachvollziehbar, was das Sozialgericht Dortmund meint.

Eines aber wird dabei vergessen: Das Sozialgericht Dortmund nämlich rät mit dem Hinweis, man könne ja die Sanktion abwarten, ganz klar dazu, unrechtmäßigen staatlichen Anweisungen einfach nicht zu folgen, statt zunächst ein Gericht darüber entscheiden zu lassen, ob diese auch wirklich unrechtmäßig sind.

Aber ist das wirklich Sinn und Zweck eines Rechtsstaates? Sollten Bürger wirklich dazu gezwungen werden, das Risiko einzugehen, das eigene Existenzminimum zu gefährden, indem sie staatliche Anweisungen einfach missachten? Die Folge eines solchen Vorgehens kann ja diese sein:

Ein Bürger hält eine staatliche Anweisung für unrechtmäßig und missachtet sie deshalb. Hierfür wird er bestraft. Dann klagt er gegen die Strafe und hat damit keinen Erfolg. Denn das Gericht hält die Anweisung für rechtmäßig. Er muss also die Strafe hinnehmen und hat keine Möglichkeit mehr, sich doch noch rechtmäßig zu verhalten, um die Strafe zu vermeiden. Und bei einer Sanktion geht es immerhin nicht um irgendeine Form der Strafe, sondern oftmals um eine existenzbedrohende Strafe.

Ist es nicht ein bisschen viel verlangt, von einem Menschen zu fordern, sich einer staatlichen Anweisung im Glauben an dessen Unrechtmäßigkeit angesichts einer Existenzbedrohung zu widersetzen? Da muss der Glaube an die Unrechtmäßigkeit schon enorm und das Vertrauen in den Rechtsstaat, der es später dann im letzten Moment doch noch hinbiegen werde übermäßig sein. Jedenfalls erfordert solches Handeln eine gehörige Portion an Mut, die nicht jeder aufbringen kann. Fraglich ist außerdem, ob das noch Mut, oder nicht schon Leichtsinn wäre.

Ich als Rechtsanwältin jedenfalls könnte kaum jemandem guten Gewissens empfehlen, sich der Sanktionsgefahr im Vertrauen auf den Rechtsstaat auszusetzen. Ein Prozessrisiko nämlich besteht immer. Besteht das Risiko allerdings in einer Existenzgefährdung, so rechtfertigen auch sehr hohe Erfolgsaussichten es meines Erachtens meist nicht, dieses Risiko in Kauf zu nehmen.

Die meisten Menschen erfüllen nun einmal durchaus vernünftiger Weise lieber unangenehme nutzlose oder sogar schädliche Pflichten, als eine Existenzgefährdung in Kauf zu nehmen. Der Zwang wirkt.

Wenn es also wirklich nicht möglich wäre, mittels einstweiligem Rechtsschutz gegen Eingliederungsverwaltungsakte vorzugehen, bedeutete das, dass die Arbeitsagentur und die Jobcenter in die Lage versetzt würden, ohne die Möglichkeit des effektiven Rechtsschutzes die Leute zu allem Möglichen zu zwingen – sogar zur Prostitution.

Wer sich nicht traut, sich angesichts einer Existenzbedrohung trotzdem zu widersetzen, hätte dann eben Pech gehabt. Was aber ist das, wenn nicht ein Verstoß gegen das Gebot des effektiven Rechtsschutzes, der grundgesetzlichen Garantie, immer gerichtliche Hilfe gegen staatliche Maßnahmen bekommen zu können?  Ein solcher Verstoß ist verfassungswidrig. 

Ob das wirklich die Absicht des Sozialgerichts Dortmund gewesen sein kann? Ich glaube kaum!